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Über den Sinn und Unsinn von Schuldgefühlen

Schuldgefühle

Schuldgefühle sind eine soziale Emotion und Reaktion auf eine Fehlreaktion, Pflichtverletzung oder eine Missetat. Wenn ein Mensch einem anderen Unrecht täte, wenn er ihn verletzen oder sogar töten würde, und wenn dies keine Schulgefühle hervorrufen würde, dann gäbe es keine innere Regulation, welche ihn daran hindern würde, neue Gewalttaten oder neues Unrecht zu tun.

Der Sinn von Schuldgefühlen besteht darin, diejenigen vor der Wiederholung der jeweiligen Übeltat – ob körperlich, psychisch oder finanziell – zu schützen und bilden daher eine Hürde für eine Wiederholungstat. „Schuldgefühle sind deswegen eine Voraussetzung für ein zivilisiertes und einigermaßen friedliches Zusammenleben“, erklärt Gerhard Steiner, MSc Systemischer Psychotherapeut und Lebensberater im Gesundheitszentrum Seestadt, 1220 Wien. Unsinnig sind Schuldgefühle dann, wenn es sich um „falsche Schuldgefühle“ handelt, für die es z.B. folgende Gründe geben kann.

In der Schuld sein

Sehr häufig erhalten Menschen kleinere aber auch größere Hilfeleistungen von Freunden, Familienmitgliedern oder Kollegen, aus denen Schuldgefühle entstehen können. „Sich in der Schuld fühlen“ kann schon bei einem wichtigen Ratschlag entstehen aber auch bei größeren Hilfestellungen – wenn z.B. Freunde bei finanziellen Engpässen, Kinderbetreuung oder Übersiedlungshilfe einspringen. Eine Reaktion darauf könnte sich etwa so anhören, „dafür hast du noch etwas gut bei mir“ oder „dafür bin ich dir noch etwas schuldig“. Diese Schuldgefühle entspringen also den empfundenen Störungen des Gleichgewichts von Geben und Nehmen. „Wahrscheinlich wird dadurch im menschlichen Miteinander versucht, eine Balance zwischen Geben und Nehmen herzustellen“, so Gerhard Steiner. Sicher ist jedoch, dass diese Art von „Schuldgefühl“ einen anderen Ursprung hat, als Verrat oder Betrug.

Schuldgefühle sind nicht gleich Schuld

Wesentlich ist, zwischen Schuld und Schuldgefühlen zu unterscheiden. Denn wenn Menschen an Schuldgefühlen leiden, muss das nicht bedeuten, dass sie tatsächlich Schuld haben. Es gibt unzählige schuldige Täter, die sich nicht schuldig zu fühlen. sowie es eine Vielzahl an Menschen gibt, die sich schuldig fühlen, ohne eigentlich schuldig zu sein. Das kommt daher, dass falsche Schuldgefühle viele Ursprünge – meist in der Kindheit haben. Zum Beispiel könnten immer wiederkehrende Aussagen der Eltern wie „Nur weil ich mit dir schwanger war, bin ich mit deinem Vater zusammengeblieben“, oder „Seit du geboren wurdest, bin ich krank“ dafür verantwortlich sein. Aber auch streng religiöse Elternhäuser, „wo Gott alles sieht und bestraft“ spielen eine große Rolle. Solche Vorhaltungen können sich bei Kindern einnisten und im Erwachsenenalter zu quälenden und existenziellen Schuldgefühlen führen.

Warum nicht ich?

Falsche Schuldgefühle können aber auch bei Menschen entstehen, die eine große Naturkatastrophe überlebt haben, bei der viele Menschen gestorben sind – man spricht dann von den Schuldgefühlen der Überlebenden. Solche Schuldgefühle können generell auftreten, wen es einem besser geht als anderen. Z.B. können Schuldgefühle auch dann auftreten, wenn es z.B. chronisch kranke Geschwister in der Familie gibt. Das gesunde Kind fühlt sich schuldig, weil es ihm gut geht.

Grundlos schuldig

Aber es gibt auch Menschen, die sich generell schuldig fühlen, ohne zu wissen, warum sie es sind. Dies hängt oft mit Familiengeheimnissen zusammen. Ob es sich um eine vermeintliche „gesellschaftliche Schande“ handelt oder um Traumen, die innerhalb der Familie passiert sind und immer Tabuthema waren. Auch wenn es nicht ausgesprochen wurde, sind diese Situationen – das Elterntrauma wirkt durch die Sprachlosigkeit in die nächste Generation weiter.

Schuldgefühle und Depression

Früher oder später machen sich alle Menschen irgendwann schuldig auf Grund einer Fehlreaktion, einer Pflichtverletzung oder eine Missetat. Ob im kleinen oder großen Ausmaß werden Menschen enttäuscht, verlassen, betrogen oder psychisch oder sogar körperlich verletzt. Wie geht man nun damit um, wenn man – ob gewollt oder ungewollt Schuld – an einer misslichen Situation ist und dann sehr wohl unter der Schuld leidet? Schuldgefühle können Depressionen bewirken, Selbstwert und Eigenliebe senken und sind in jeder Beziehung eine Belastung.

Trifft dies zu, ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und sich einzugestehen, dass man Fehler und damit sich schuldig gemacht hat. Das schafft innere Ausgeglichenheit für sich selbst und mit dem anderen. Eine Entschuldung ist dann in folgenden Schritten möglich:

Der erste Schritt zur Entschuldung ist Mitgefühl: Nur wenn Übeltäter den Schmerz, den sie anderen angetan haben, wahrnehmen können, können sie sich aktiv entschulden und einen Ausgleich schaffen.

Der zweite Schritt ist das Bekenntnis: Am Besten ist es, sein schuldhaftes Verhalten dem anderen zu kommunizieren und sich auch verbal zu entschuldigen. Dieses ehrliche Bekenntnis eröffnet einen Weg der Wiedergutmachung und des Ausgleichs.

Der dritte Schritt besteht darin, den Ausgleich bzw. die Wiedergutmachung sich zu überlegen und auch tatsächlich umzusetzen.

Innerer Frieden

Viele Menschen werden bewusst oder unbewusst von Schuldgefühlen geplagt. Schuldgefühle können im sozialen Miteinander ständig für Kämpfe sorgen, bei denen Verletzungen und Enttäuschungen entstehen. Je größer dabei das Leiden wird, desto größer wird auch die Sehnsucht nach Frieden. Sich mit Schuldgefühlen auseinanderzusetzen bedeutet auch, sich auf den Weg des Friedens zu machen.

„Manche sehnen die Sonne herbei,
damit sie im Schatten sitzen können“

Paul Eßer

Buchtipp: Chris Paul, „Schuld – Macht – Sinn“, Arbeitsbuch für die Begleitung von Schuldfragen im Trauerprozess, Gütersloher Verlagshaus

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