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Gefühle zwischen Freude, Wut und Angst

Gefühle

Gefühle sind Kernimpulse menschlichen Erlebens, hilfreich und notwendig, um in der Welt zurechtzukommen, und – soweit wie möglich – glücklich zu werden. Wer Gefühle ernst nehmen möchte, muss sich mit den einzelnen Gefühlen beschäftigen, mit ihren Erscheinungsformen und Symptomen, aber auch mit den Zusammenhängen zwischen Gefühlen und den anderen menschlichen Regungen, mit ihrer inneren Struktur und ihrer Sprachlehre.

„Verschiedene Alltagssituationen fordern uns mit unseren Gefühlen heraus und lassen uns manchmal mit widersprüchlichen und gemischten Gefühlen zurück“, erklärt Gerhard Steiner, MSc, Systemischer Psychotherapeut Lebensberater im Gesundheitszentrum Seestadt, 1220 Wien. Manchmal wissen wir nicht, ob wir lachen oder weinen, schreien oder staunen sollen.

Von den Gefühlen überrollt

Gerade Kinder und Jugendliche erleben sich – insbesondere in der Phase der vorpubertären und pubertären Entwicklung – oftmals als von ihren eigenen Gefühlen überrollt. Zudem sind sie vom gleichzeitigen Erleben unterschiedlicher Gefühle überfordert. Welche Gefühle dabei erlebt werden, hängt dabei sowohl von den biographischen Erfahrungen als auch von der aktuellen Interpretation der Situation und den eigenen Körperreaktionen ab. Gerhard Steiner: „Die Regulation der erlebten Gefühle zählt zu den Kernkompetenzen des Menschen und hilft dabei, Erlebnisse und Erfahrungen zu verarbeiten, Entscheidungen zu treffen und angemessen zu reagieren.“

Das Erkennen, Benennen und Sortieren der eigenen Gefühlswelt, das Vorwegnehmen und Erkennen der Gefühle anderer und das Unterscheiden von primären (Trauer, Wut, Angst) und sekundären Gefühlen (Enttäuschung, Neid, Sorge) sind wichtige Voraussetzungen für das Ausbilden der eigenen Intuition und der emotionalen Stabilität. Das Aushalten ambivalenter Gefühle stellt eine wichtige psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) dar: Toleranz für Mehrdeutigkeit gegenüber zeitgleich erlebten widersprüchlichen Gefühlen.

Kinder und Jugendliche sind oft noch unsicher im Benennen ihrer Gefühle, im selbstbewussten Vertreten ihrer Wahrnehmung, im angemessenen Ausagieren ihrer Emotionen und im Einschätzen der Gefühle anderer. „In der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie nimmt das Wahrnehmen und Äußern der Gefühle und die adäquate Regulation der Emotionen daher eine zentrale Stellung ein“, erklärt Gerhard Steiner.

Sinn und Nutzen der Gefühle

Die Auswahl der Gefühle und deren Darstellung würden in einer Aufzählung immer nur unvollständig sein. Durch mimischen Ausdruck als eindeutig und gut unterscheidbar werden jedoch Primärgefühle beschrieben: Trauer, Wut, Angst, Freude, Überraschung oder Ekel.

Wenn ein Mensch in seinem Schmerz versinkt und die Trauer ihn blind macht für all das, was in seinem Leben erfreulich ist, wenn die Angstgefühle jemanden nachts aus dem Schlaf reißen, dann sind Gefühle oft eine als sinnlos schmerzhaft empfundene Last. Doch oftmals hilft die Trauer, von etwas Vergangenem loszulassen, wenn z.B. die Angst uns vor einem Unfall bewahrt. Dann sollten die Gefühle zugelassen werden und sind auch sinnvoll. Gefühle machen also Sinn, auch wenn sie zu Leiden führen und Ausdruck von Leiden sein können.

Gerhard Steiner: „Gefühle sind in den Gesamtorganismus eingebunden. Gefühle ohne Körpererleben gibt es nicht. Sie sind immer mit körperlichen Aktivitäten verknüpft.“ Dies zeigt sich in vielen Redewendungen, z. B. die Furcht ist beklemmend, die Trauer zerreißt das Herz, usw. Gefühle verändern den Atem und das vegetative Nervensystem. Dadurch rufen sie Veränderungen im ganzen Körper hervor. Manchmal ist dies spürbar, oft unmerklich – wobei die Folgen sich erst nach Jahren zeigen können.

Gefühle regulieren Beziehungen

Gefühle regulieren auch Beziehungen zu anderen Menschen. Man kann sie als „soziales“ Organ bezeichnen. Gerhard Steiner: „Bei einigen Gefühlen ist es gut sichtbar, dass sie sozialen Bezügen entspringen. Das Schamgefühl kann in einer Beschämungserfahrung entstanden sein, die Angst in einer Bedrohung. Neid und Eifersucht können aus Vergleichen mit anderen entstehen, Zorn und Hass Reaktionen auf das Verhalten anderer sein.“

Aber Gefühle verhelfen auch zu Bewertungen. Die Trennung zwischen Verstand und Emotionalem hat sich als Unwahrheit herausgestellt. Es gibt kein Denken ohne Gefühle. Bei jeder Bewertung, die ein Mensch vornimmt, bei jeder Entscheidung, die er trifft, sind Gefühle beteiligt.

Gefühle stoßen aber auch Entscheidungen an, vor allem spontane Entscheidungen. Die Angst und der Schrecken helfen völlig spontan, beim Geräusch quietschender Bremsen innezuhalten und dem Fahrzeug auszuweichen. Die Freude über das Geschenk führt zu einem Strahlen und zu einer Umarmung. Der Ärger über die kränkende Aussage eines Kollegen bewirkt, dass man sich spontan von ihm zurückzieht.

Auch die Intensität wird durch Gefühle reguliert. Wenn das Interesse schwach ist, handelt die Person anders, als wenn sie von Sehnsucht und Leidenschaft erfüllen ist. Ob man jemanden mag oder von tiefer Liebe zu jemandem erfüllt ist, bewirkt unterschiedliches Erleben. Und letztendlich ermöglichen Gefühle Prozesse. Die große Stiege am Montmartre, die das Liebespaar während der Flitterwochen in Paris bestiegen hat, wird ebenso unauslöschlich in Erinnerung bleiben wie die Stufen, die jemand hinuntergefallen ist. Die Gefühle des Glücks und des Schreckens sind Marker der Erinnerung. In die aktuellen Erfahrungen z.B. des Treppensteigens fließen solche Erinnerungen ein. Die Sorge vor einem erneuten Sturz kann zu einem zukunftsbeeinflussenden Handeln führen (Geländer bei Treppe anbringen). Gefühle spannen so Bögen von der Vergangenheit in die Gegenwart und von der Gegenwart in die Zukunft.

Buchtipp: Udo Baer, Gabriele Frick-Baer, Das große Buch der Gefühle, BELTZ Verlag 2017, ISBN: 978-3-407-85846-7

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